Liebes Archiv … Einträge vom Februar 2007

Die Schreckschraube.

Die Schreckschraube, Abart der Iranischen Schrägschraube aus der Ordnung der Mutterngewächse, trägt ihren Namen ihrer Scheu wegen. Tarnt sich gern im Schnee. Ausgewachsene Exemplare finden sich fast nur nachts. Bei Gefahr schraubt sie sich blitzschnell in die Mutter zurück, Fotos wie dieses gelingen daher äußerst selten.
Anders als die Iranische Schrägschraube wächst die Schreckschraube gerade aus der Mutter heraus. Hat sie einmal eine gewisse Wuchshöhe erreicht, knickt sie ab und hinterläßt eine ungerade Bruchlinie. Die Schreckschraube ist eine Mutation der Schrägschraube und bei der Aussaat nicht von dieser zu unterscheiden. Erst bei der sogenannten Heirat mit der Mutter entscheidet sich endgültig, welche von beiden sich herausbildet. Im Iran vom Aussterben bedroht.

   

[] Parand Niruga / Mittwoch, 28. Februar 2007

Die Zeit vergeht - ich bleibe.

imm der abgelaufenen Zeit den Schrecken und rechne in anderen Maßeinheiten. Was sind sieben Monate? Zwei Flaschen Flüssigwaschmittel. Oder sieben Packungen Pfefferminztee. Oder fünf Stiegen Bier (geschätzt). Oder fünf Flaschen Whisky. Oder viermal Rasieren. Oder null Steuererklärungen. Oder dreißig schöne Freitagsausflüge. So lassen sich noch viel größere Zeitabschnitte angenehm darstellen.

[] Parand / Mittwoch, 28. Februar 2007

Stark gesalzen.

Vorbei an verdorrten Salzgurkenbäumen und trockengelegten Salzheringszuchtbecken geht die rumpelige Fahrt durch die Salzwüste. Der Regen hat der Piste nicht gutgetan und unser Fahrer ist nicht der Verwegenste - hat er Angst mit streunenden Salzlämmern zu kollidieren? Die gibt es hier eigentlich nicht, vielleicht will er das Auto und unsere Bandscheiben schonen, er ist nicht besonders gesprächig und wir fragen nicht danach.
Wieder geht es zum Salzsee, diesmal im Geländewagen. Bei dieser Schleicherei kommt mir der Weg viel länger vor, doch irgendwann erreichen wir die Karawanserei Maranjab - alles voller Leute heute! - und machen Picknick am Ententeich.
Und dann endlich auf den See. Wabenartige Strukturen unter uns, weiter Schleichfahrt wegen der vielen Löcher, auch wenn der Fahrer des vorbeischießenden Lastwagens uns bedeutet, Gas zu geben. Wie eine Mutta Morgana wabern die weißen Salzberge in der Ferne, als wir näher kommen, wachsen sie wieder mit dem Boden zusammen. Gerade sind die zwei Lastwagen beladen und machen sich davon, schade. Wir steigen auf das Salzgebirge, das vom Regen verkrustet ist. In der Ferne jagen Salzlaster vorbei. Unser Fahrer nervt, hat wohl Termine. Die Rückfahrt geht schneller.
Wieder auf dem Festland trocknen die Wasserspritzer zu einem weißen Panzer, der in wenigen Stunden das Auto zersetzt haben wird, also wollen wir nicht bremsen, auch wenn das Ziel wie immer Parand heißt.

   

[] Salzsee Namak / Freitach, 23. Februar 2007

Pantoffelkino.

raußen ist es kalt und dunkel. Drinnen sitze ich, gewärmt vom Kaminofen, in meinem Sessel und starre die vergilbte Wand an. Ich muß mich für einen der unzähligen Filme auf meiner Festplatte entscheiden, statt über das miese Fernsehprogramm zu fluchen - dank feiner Idee und elektronischen Nachlasses eines unserer viel zu früh entlassenen Kollegen bin ich seit ein paar Tagen unabhängig davon. Und wenn sich die anderen abends noch aufraffen können, sind sie herzlich eingeladen. Hoch sollen sie leben, die digitale Revolution und Earl Hickey!

[] Parand / Mittwoch, 21. Februar 2007

Die Steppe erwacht.

   
Hier im Kaff ist es seit Tagen wie am neunundzwanzigsten Dezember, die Jungschen lassen Silvesterknaller krachen, nur noch einen Monat bis Neujahr. Draußen in der Steppe hallen Geschützdonner und Gewehrsalven durch die Berge und zusammengewürfelte Jungenbanden erkunden lärmend die Hügel. Ich finde neben ein paar klitzekleinen Blümchen den ersten aufgeblühten Mandelbusch, und als ich mich danebenhocke kommen Hummeln und Bienen angeschwirrt, stecken ihre Rüssel gierig und hastig in die rosa Pralinenschachteln, schwirren von einer Blüte zur nächsten, streiten sich und schubsen, geschäftiges Summen und Brummen, ist jetzt der Frühling da?

[] Steppe Parand / Freitach, 16. Februar 2007

Wo die Pullen kreisen.

Die anderen lachen mich aus, weil ich keine Aufmerksamkeit auf uns lenken möchte, als wir den Chateau Kleyderschrank aus der Plastikflasche in die Karaffen gießen. Am Nachbartisch kreisen Red Label und Absolut! Alle Frauen sind ohne Kopfbedeckung! Verkehrte Welt im Armenischen Club.
Die unbeschilderte Pforte muß man erstmal finden, dann am Pförtner vorbeikommen - Muslime haben keinen Zutritt und das Vorweisen einer Empfehlung ist angebracht - und es erschließt sich einem das versteckte Lokal mit glänzenden Stofftapeten und gedämpftem Licht. Armenische Live-Musik, sentimentale Oden ans ferne Jeriwan, klingen durch den Saal. Salz an den Speisen scheint verpönt, keine Rafinessen auf der Karte, nur der uns fremd gewordene Anblick unverhüllter weiblicher Haarpracht verwirrt. Sollten wir mit einer Buddel Whisky wiederkommen?

[] Teheran / Mittwoch, 14. Februar 2007

Matsch und Natriumsulfat.

Der Tag ist also versaut und der Ausflug vorbei bevor er eigentlich angefangen hat. So sieht es zumindest aus, als wir uns im schmierigen Matsch der Salzwüste festgefahren haben. Und der Reiseleiter hat schuld! Ich hatte Herrn Ali vom Hauptweg abgebracht, weil ich diese Spur für trockener gehalten hatte. Da hilft es auch nichts, an den Geländewagen zu denken, den Herr Ali hatte besorgen wollen. Oder an Schlammcatcherinnen. Zwei hilfsbereite Jungs steigen von ihrem Moped und versuchen zu helfen, aber nichts geht mehr. So fährt Herr Ali als zweiter Sozius mit ihnen ins nächste Dorf und besorgt einen Abschleppwagen. Abenteuer!
Der nette Herr mit seinem alten Kleinlaster schafft es, unser gelbes Taxi aus dem Sumpf zu ziehen, auch wenn es erst scheint als würde er selbst steckenbleiben.
Weiter geht es auf der Schotterstraße zum Ghaleye Baghram, unserem Tagesziel, einer Karawanserei dachte ich. Nach ein paar Kilometern ist Schluß, an der Zufahrt zum dortigen Naturschutzgebiet werden wir zurückgewiesen, weil ein Armeemanöver stattfindet. Also machen wir endlich unser Mittagspicknick, in der Ruhe und reinen Luft der Einöde.
   
Auf dem Rückweg fahren wir wieder an einer langen Lehmmauer vorbei, dahinter zwei kurze bauchige Schorsteine. Wir halten am Tor und Herr Ali fragt gleich mal ob die deutschen Ingenieure einen Blick werfen dürften. Schon werden wir herumgeführt und in Farsi aufgeklärt, was hier produziert wird. Berge von weißen Säcken und Brocken liegen umher. Ein teerschwarzer Kessel bullert und raucht. In großen Schüsseln mit Wasser kristallisiert Natriumsulfat. In der weißbestäubten Halle, wo es getrocknet und verpackt wird, erscheint Herr Hassan und überrascht uns mit flüssigem Deutsch. Er hat bis neunzehnvierundsiebzig in Deutschland Geologie studiert und führt uns bereitwillig durch sein Reich. Aus Natriumkarbonat, das hier auch in einer dünnen Schicht ein paar Zentimeter unter dem Boden vorkommt, machen seine Billigarbeitskräfte aus Afghanistan unter steinzeitlichen Bedingungen das Natriumsulfat, das bei der Herstellung von Waschmittel, Farben und Glas verwandt wird. Sie mahlen große weiße Brocken Schwefelkram und kippen sie zusammen mit Natriumkarbonat in den dampfenden Bottich, der im Boden eingegraben ist. Etwas abseits schütten ein paar arme Tropfe Ammoniumnitrat und Soda zu Brandbeschleuniger zusammen, der beim Test auf der Zigarette übelriechendes Ammoniak freisetzt. Jedenfalls machen die Chinesen wie immer alles billiger und daher hat Herr Hassan noch ein paar andere Sachen zu laufen, wie die zwanzig Kühe und den Strontiumnitrat-Abbau irgendwo in der Nähe. Reich sieht er trotzdem nicht aus.
Es wird spät und Herr Hassan will uns nicht gehen lassen, wir bedanken uns für den Tee und die Gastfreundlichkeit. Auf dem Rückweg steigen wir noch auf die verwitterten Stadtmauern von Ghal-e-Irage, die ein riesiges Viereck bilden und das Einzige sind, was von der Stadt übrig ist. Schon hat sich die Sonne verdrückt und wir machen uns auf den Weg ins unvermeidliche Parand. Ein Freitag voller Überraschungen!

[] Kavir, die Salzwüste / Freitach, 09. Februar 2007

Parand - Grünes Leben.

inst, in der so fernen westlichen Welt schrieb man das Jahr zweitausendsechs anno Domini und ich hatte schon Teile meiner Muttersprache ausgeschwitzt, denn die Sommersonne brannte unerbittlich vom azurblauen Himmel herab, zu jener Zeit also brütete ich über einem lästerlichen Gedicht über das Kaff, in dem ich meine Tage fristete. Ich zerbrach mir den Kopf über Tage und Wochen, ging schlaflos in der Stube auf und ab, marterte mich, die adäquaten Worte zu finden für diese Ansiedlung, die sich einem so charakterlos darbot, daß ich nicht einmal genug Schimpfworte fand. So kam ich über die ersten holperigen Zeilen nicht hinaus...

Parand, ach Parand, du staubige Braut,
im Sommer die Hölle, im Winter auch.
Wer hat dich hier bloß in den Sand gesetzt,
in die Steppe gekotzt und das Land verätzt.
Du bist das Geschwür unter persischen Städten,
das gutartig wuchert am Arsch des Propheten.
Als Strafkolonie wärst du einsame Klasse,
Guantanamo Bay für die arische Rasse. …

Ich quälte mich Abend um Abend nach dem harten Tagwerk, doch es half nichts, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind mit Worten nicht zu ermessen und entziehen sich der Beschreibung hartnäckig. War dieser Ort überhaupt den Aufwand wert? Sollte ich ihn stattdessen nicht einfach ignorieren? Angesichts solcher Gedanken verlor sich meine Inspiration und die losen Blätter verstaubten unter meinem abstumpfenden Auge.
Monatelang passierte nichts, was mich beim Dichten voranbrachte, dann kam der Tag, an dem ich den blühenden Boden vor den Toren Parands entdeckte. Viel zu früh war ich mit meiner Schelte gewesen! Welch Unrecht hatte ich der verheißungsvollen Vorstadt Teherans getan mit meinen westlichen Scheuklappen! Fast sank ich auf die Knie, um Entschuldigung zu erbitten, doch dazu war die Straße zu staubig. Andächtig entfernte ich mich vom Ort des zukünftigen Paradieses und verwarf jeden weiteren Gedanken an ein Schmählied.

   

[] Parand / Mittwoch, 07. Februar 2007

Im Schwemmland.

   
Unten am Fluß ist die Welt längst nicht mehr in Ordnung, aber wen überrascht das. Das Flußtal vor den Toren Parands hat wohl schon lange keine richtige Flut gesehen, nur ein schmales Bächlein schlängelt sich durch das Schilf. Sicher rechnet so mancher, der seinen Schutt und Müll hier in der Gegend abkippt, damit, daß das Wasser es irgendwann wegtragen wird. Über dem üppigen Schilfwald, auf der Eisenbahnbrücke, überprüft gerade ein Bautrupp deren Zustand mit einem orangenen Alleskönner. Etwas flußabwärts, jenseits der Autobahnbrücke, jenseits der Schafherde, deren furchterregende Hütehunde mich zerfleischen wollen, raucht Tag und Nacht die Müllkippe, hier werden die Reste unseres Wohlstandes verheizt und kratzen bei Südwind im Hals.

[] Parand, Rud-e-Shur / Freitach, 02. Februar 2007

An der Basis ist alles ruhig.

arum zur Hölle wird das Land so verteufelt? Gerade befinden wir uns in den Ausläufern des schiitischen Ashura-Festes, auf dem der gefallene Hussein betrauert wird, zehn Tage unentwegte Marschiererei durch die Straßen mit Pauken und Verstärkern auf schrottreifen Kleintransportern, jammernde Menschen, die sich selbst prügeln, aufdringliche Nachbarn die Suppe an jeden Vorbeigehenden ausschenken. An Arbeiten ist da natürlich nicht zu denken, zwei volle Tage Totenstille in jedem Betrieb, selbst die Urananreicherungsanlagen waren personell unterbesetzt. Warum macht man sich international Sorgen? Von hier sieht alles ganz friedlich aus. Mein Fahrer schimpft wie ein Rohrspatz auf den Doktor, alles ist teurer geworden und überhaupt, dabei kann man sich doch vor Feiertagen kaum erholen, sechzig offizielle sollen es sein. Und die Extremisten werden doch angeblich auch müde. Oder werden sie einfach nicht mehr wach, weil die Zeit zwischen den ganzen Feiertagen zu kurz ist? Hier wird anscheinend etwas dramatisiert. Niemand hat hier die Absicht, die Weltherrschaft an sich zu reißen!

[] Parand / Donnastach, 01. Februar 2007

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.